Frank Altrock Coaching
Was also war im Falle des Modells von Douglas Diamond und Philip Dybvig (DD) aus dem Jahr 1983 die Frage? "Wie kann ich einen fairen Teilungsprozess bezüglich erwirtschafteter Zinseinnahmen unter Pechvögeln und Glückspilzen organisieren?" Genauer: bei einzelnen Investoren können unerwartete Liquiditätsnöte entstehen, z.B. weil das Auto überraschend einen Totalschaden hat, so dass sie vorzeitig an ihr langfristig angelegtes Geld müssen; wie kann ich angesichts solcher individueller Liquiditätsnöte einzelner Investoren Finanzmärkte so organisieren, dass opportunistische Glückspilze (d.h. Investoren, denen das Schicksal eine akute Liquiditätsnot erspart hat) die Zinseinnahmen fair mit Pechvögeln (d.h. Investoren, denen das Schicksal eine akute Liquiditätsnot beschert hat) teilen?
Hierfür gäbe es verschiedene Organisationsmöglichkeiten: beispielsweise könnte eine zentrale Planungsbehörde die Liquiditätsnöte der Pechvögel administrieren und dafür sorgen, dass sie an ihr Geld kommen und für die vergangene Zeit der Anlage noch einen einigermaßen fairen Zins erhalten. Nur mit zentralen Planungsbehörden ist das so eine Sache. Eigentlich sind doch in einer marktwirtschaftlichen Ordnung Märkte die leistungsfähigsten Koordinationsmechanismen, die es gibt. Das gilt sicher und in besonderem Maße auch für Finanzmärkte. Warum also leihen sich einzelne Akteure auf den Finanzmärkten nicht einfach direkt langfristig Geld untereinander? Wenn jemand ein Pechvogel ist, könnte er seine Liquiditätsnot dadurch beheben, dass er seinen vergebenen Kredit auf dem Sekundärmarkt veräußert. Das Problem ist hierbei nun allerdings, dass auf einem solchen Sekundärmarkt die Pechvögel in einer schlechten Verhandlungsposition sind und ausgebeutet würden. Die Glückspilze, die im Vorhinein die Idee der Solidarität mit den Pechvögeln im Prinzip ganz charmant fanden, also die bereit wären, ein wenig von ihren hohen Zinseinnahmen für die langfristige Geldanlage mit den Investitionsabbrechern zu teilen, werden sich auf dem Sekundärmarkt an diese Solidarität konkret nicht erinnern, jetzt, wo sie wissen, dass sie Glück gehabt haben. Sie verhalten sich egoistisch.
Damit hat die Diagnose von DD bezüglich Finanzmärkten Ähnlichkeiten zu anderen Problemen von Marktversagen, die es aufgrund von sog. externen Effekten gibt, also den nicht ausgeglichenen Auswirkungen einer ökonomischen Entscheidung auf andere. Z.B. wäre es eigentlich besser, ein wenig Bequemlichkeit und Zeit zu opfern und mit dem Fahrrad oder der Bahn zu fahren. Wenn alle dies tun würden, hätten wir sauberere Luft etc., was allen zugutekäme. Die hätten wir allerdings auch, wenn alle anderen dies machen würden und nur wir selbst schön bequem mit unserem Auto fahren und Zeit sparen. Bzw.: wenn alle anderen auch mit dem Auto fahren, können wir auch nichts mehr ausrichten. Also ist Auto fahren für uns in jedem Fall die bessere Strategie. Und für jeden anderen auch. Und alle wissen dies voneinander. Also fahren alle mit dem Auto und die Luft ist mies. Die andere Strategiekombination wäre besser, aber wir können uns nicht glaubhaft an das wünschenswertere Verhalten binden. Dies ist in der sog. Spieltheorie ein „Gefangenendilemma“.
Es ist das Verdienst von DD und anderen, den Analyserahmen der Spieltheorie in die Theorie der Finanzmärkte eingeführt zu haben. Denn das DD-Modell ist im Kern spieltheoretisch (allerdings kein Gefangenendilemma). Sind Banken als Finanzintermediäre also wie Emissionszertifikate die Lösung des Problems? Douglas Diamond und Philip Dybvig die Greta Thunbergs der Finanzmärkte? Ein stückweit schon.
In der weiteren spieltheoretischen Analyse zeigen DD dann auf, dass Banken instabil sind und deren segensreiche Wirkung in Bank Runs zusammenbrechen kann, wofür es dann Einlagensicherung braucht. Hierüber wurde auch viel berichtet. Die hier dargestellte grundlegende Sicht von DD auf Banken als „Selbsthilfeeinrichtung gegen den eigenen Egoismus“ wird in der Berichterstattung über den Nobelpreis an DD aber meist nicht betont. Sie ist aber wesentlich, und auch einigermaßen konträr zum Bild des Bankers als „Bankster“, der schutzlose Kreditnehmer und Einleger ausbeutet, hohe Kosten (z.B. für Glaspaläste in Frankfurt) verursacht und aus unerschöpflicher Gier unanständig viel Gewinn macht.
DD haben den Blick dafür geschärft, dass Banken im Kern Liquiditätsversicherer sind und es keine steuernde und prüfende Instanz zur Regulierung von Liquiditätsnot braucht, sondern dass dies dezentral wie auf Märkten geschehen kann, nur eben mit Banken. Die DD-Theorie ist auch hilfreich für aktuelle Fragen der Kreditmarktarchitektur, z.B. die Frage, ob Peer-to-Peer-Lending-Plattformen, ggf. ergänzt um Sekundärmärkte, eine gleichwertige oder bessere Alternative zu Banken sind.
Wie ist Ihr Bild von Banken?
Naja, und die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest stellt man wahrscheinlich eh besser (wo)anders.…
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